Jusletter

Liebe Leser*innen

Der technische Fortschritt verändert nicht nur das Arbeits-, sondern auch unser Privatleben. Eltern oder gar die Minderjährigen selbst teilen Bilder sogar auf öffentlichen Benutzerprofilen. Diese Verhaltensweisen bergen jedoch enorme Gefahren, auf die in dieser Jusletter-Schwerpunktausgabe eingegangen wird.  Diese basiert auf der Tagung «IAPP DACH KnowledgeNet Tagung ‹Kinderrechte in den digitalen Medien – ein Rundumblick›», die am 26. September 2022 bei Google in Zürich stattfand. 

Das steigende Bewusstsein für Kinder als eigenständige Mitglieder der Gesellschaft führte im 20. Jahrhundert zu einem grundsätzlichen Umdenken bezüglich deren Stellenwert und Rechtsstellung. Das Kindeswohl hat in den letzten Jahrzehnten in Gesetzgebung und Rechtsprechung eine signifikante Rolle eingenommen, nicht zuletzt aufgrund der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention. Von den Zuständen, die noch im vorletzten Jahrhundert herrschten, sind wir in paradiesische Distanz gerückt. Dass es verboten ist, Kinder sexuell auszubeuten, dass es mindestens problematisch ist, Kinder zu schlagen, dass Kinder die Schule besuchen dürfen und müssen, ist bekannt. Allerdings gibt es eine starke Diskrepanz bezüglich der Frage, was für Rechte Kinder genau haben. Kinderrechte auf Meinungs- und Religionsfreiheit sowie auf Informationen zu Lebenssachverhalten, die sie betreffen, sind weitgehend unbekannt. 

Obwohl körperliche und geistige Unversehrtheit von Kindern als Staatsziel angesehen wird, entstehen durch gesellschaftliche Entwicklungen neue Probleme. Dass der Siegeszug des Internets den Kindern nicht nur Chancen bietet, sondern sie in ihrer Entwicklung schädigen kann, ist unbestritten. 

Tobias Neufeld und Daniel Schlemann untersuchen, wie es um das System der Kinderrechte im digitalen Raum in Europa derzeit bestellt ist; vom Schutz der verarbeiteten Daten über die Sicherung altersgerechter Informationsbereitstellung bis hin zur Chancengleichheit und – in Zeiten zunehmenden technologischen Fortschritts – digitaler Kompetenz. Die Autoren zeigen, wie ein ausreichender Schutz von Kinderrechten durch digital-ethische Selbstverpflichtungen der relevanten Unternehmen gelingen kann.

Wie gross der digitale Fussabdruck von Kindern und Jugendlichen ist, erläutert Sandra Husi-Stämpfli. Gemäss der Autorin sind die Eltern Vorbild, Verantwortliche für den Persönlichkeitsschutz ihres Nachwuchses – und leider oftmals gerade diejenigen, die die informationelle Selbstbestimmung ihrer Kinder gravierend gefährden. Sie geht anhand des Beispiels der Kindersmartwatches der Frage nach, wie im digitalisierten Familienalltag die Persönlichkeitsrechte der Kinder ausgehöhlt werden und zeigt auf, dass Eltern wie auch Kinder Opfer einer falschen Sicherheitsvorstellung werden. 

Der Vergleich hoher Konsumzahlen von Missbrauchsabbildungen im Internet mit den niedrigen Verurteilungsraten solcher Delikte verdeutlicht, dass der Kinderschutz im digitalen Raum mit einem grossen Dunkelfeld konfrontiert ist. Ein Ansatz, dem zu begegnen, ist die Ansprache pädophiler Menschen im Rahmen von Sekundärprävention. Fanny de Tribolet-Hardy und Elmar Habermeyer stellen den kriminologischen und klinischen Hintergrund sowie die Behandlungsmöglichkeiten vor.

Kinderschutz im digitalen Raum ist mitunter die Aufgabe des Strafrechts, besonders im Kontext von Kinderpornografie. Es stellt sich die Frage, mit welchen Sanktionen straffällige Personen am zielführendsten belegt werden, damit sie von der Begehung künftiger Taten absehen. Thierry Urwyler zeigt auf, dass belastbare Antworten nur mit Kenntnis der empirischen Ausgangslage formuliert werden können. Gleichzeitig legt er dar, welche Möglichkeiten und Grenzen das Sanktionenrecht bei der Verhinderung von solchen Delikten aufweist.

Auch abseits strafrechtlich relevanter Verhaltensweisen lauern Gefahren für Kinderbilder, die in sozialen Medien geteilt werden. Doch welche Bilder sind kinderpornografisch und welche vermeintlich harmlos? Kann man diese Bilder bedenkenlos teilen? Sarah Kunz von Hoyningen-Huene gibt Antworten und sensibilisiert: Auch scheinbar harmlose Bilder, die arglos geteilt werden, werden gestohlen und missbraucht.

Als Täter*in bei Pornografie mit Minderjährigen kommt jedermann in Frage, selbst Kinder ab zehn Jahren. Dies führt zur Absurdität, dass zwei Jugendliche im Alter von 15 und 16 Jahren straffrei einvernehmlich sexuellen Verkehr miteinander pflegen können, sich aber strafbar machen, wenn sie sich dabei filmen. Sind beide 16 Jahre alt, so können sie sich zwar straffrei filmen, die Weiterleitung eines pornografischen Selfies der einen Person an die andere steht aber unter Strafe. Sarah-Joy Rae gibt einen Überblick über das aktuell geltende Recht mit dessen teilweise widersinnigen Folgen in Bezug auf die Strafbarkeit von Minderjährigen und äussert sich zur anstehenden Reform des Pornografieartikels.

Thomas Werner setzt sich damit auseinander, wie Kinder im Internet verschiedensten Gefahren ausgesetzt sind. Der Autor zeigt auf, wo genau die Gefahren im Internet lauern, was die Polizei unternimmt und wie die Kinder, gerade durch die Eltern, geschützt werden können.

Zum Abschluss dieser Sonderausgabe bereiten Christian Kunz und Jutta Oberlin einen vollumfassenden Gesamtüberblick zur Tagung auf.

Es ist mir zudem ein wichtiges Anliegen, auf unsere Kinderrechtstagung «‹Schützen wir, wen wir lieben!› Wenn Kinder ins Netz gehen! Von Gefahren und Risiken zu digitalen Rechten und Chancen» hinzuweisen. Die Veranstaltung findet am 15. März 2023 bei Bär und Karrer in Zürich statt und bietet einen vollumfassenden Einblick in die Thematik, sowohl aus strafrechtlicher, zivilrechtlicher, datenschutzrechtlicher und auch psychosomatischer Perspektive. Wir freuen uns, Sandra Husi-Stämpfli, Claire Daams, Sarah Kunz von Hoyningen-Huene, Patrick Roelli, Thomas Werner, Patrick Fassbind, Fanny De Tribolet-Hardy, Sarah-Joy Rae und Thierry Urwyler als Referenten bei uns begrüssen zu dürfen.

Für die Redaktion

Jutta Oberlin


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