Jusletter

Liebe Leserinnen, liebe Leser,
 
«Es kann keine Gerechtigkeit geben, wo die Art des Verfahrens, das einem Menschen zusteht, davon abhängt, wieviel Geld er hat.» Mit diesem Zitat des amerikanischen Bundesrichters Hugo Black schliesst Martin Kayser seinen Beitrag über die Kostenvorschusspflicht und unentgeltliche Rechtspflege im Migrationsrecht ab. Als Problemstellung kann das Zitat der gesamten Schwerpunktausgabe zum Migrationsrecht 2019 vorangestellt werden.
 
Wie ein roter Faden zieht sich durch die verschiedenen Beiträge das Problem des Zugangs zum Recht für Menschen, die aufgrund ihres Status als Migrierende in einer prekäreren Situation sind als durchschnittliche Rechtssuchende und deren verfahrensrechtliche Position gegenüber dem normalen Verwaltungsverfahren eingeschränkt ist.
 
Wie sehr das Migrationsrecht über ein Sonderverfahrensrecht verfügt, zeigt sich nirgends deutlicher als im neuen Asylverfahren, wie es seit dem 1. März 2019 in Kraft ist. Die Beschleunigung des Verfahrens ist das zentrale Ziel der Reform. Anne-Laurence Graf und Aurélie Mariotti widmen sich der Frage, wo das Ziel der Verfahrensbeschleunigung an die Grenze der menschenrechtlichen Verfahrensgarantien stösst, insbesondere an die Grenzen des Non-Refoulement nach Art. 3 EMRK in Verbindung mit dem Recht auf eine wirksame Beschwerde nach Art. 13 EMRK. Für das strikt getaktete neue Asylverfahren betonen sie die Schutzfunktion des Verbots des überspitzten Formalismus, wie es in Art. 13 EMRK angelegt ist. Unter anderem gelangen Sie zum Schluss, dass in gewissen Konstellationen ein Rechtsanspruch auf die Aufnahme in das erweiterte Verfahren nach Art. 26d AsylG besteht, wenn die Flüchtlingseigenschaft nicht innerhalb der Ordnungsfristen des neuen beschleunigten Regelverfahrens abgeklärt werden kann.
 
Mit einer ganz anderen verfahrensrechtlichen Besonderheit im Asylverfahren befasst sich Susanne Bolz. Sie thematisiert die Verwertung massgeblicher Akten und Informationen des Nachrichtendienstes im Asylbeschwerdeverfahren vor Bundesverwaltungsgericht. Sofern nachrichtendienstliche Informationen über eine asylsuchende Person vorliegen, sieht sich das Bundesverwaltungsgericht konfrontiert mit dem Spannungsfeld zwischen der gesetzlichen Verpflichtung des NDB zum Schutz seiner Quellen und dem verfassungsrechtlich verankerten Anspruch auf rechtliches Gehör. Susanne Bolz konstatiert zwar ein gesteigertes Problembewusstsein der involvierten Behörden bei der Verwendung nachrichtendienstlicher Informationen und eine gesteigerte Bereitschaft, nach einzelfallgerechten Lösungen zu suchen. Dennoch regt sie die Schaffung einer unabhängigen Stelle an, die sich in der Funktion eines Vertrauens- oder «Grundrechtsanwalts» stellvertretend für die Betroffenen für deren Verfahrens- und Grundrechte einsetzen könnte.
 
Seit nunmehr bald 10 Jahren beschäftigt die Schweizer Justiz die Ausschaffungsinitiative und deren Umsetzung im Bundesgesetzesrecht. Nun liegen die beiden ersten zur Publikation vorgesehenen Bundesgerichtsentscheide zur Landesverweisung nach Art. 66a StGB ff. vor. Babak Fargahi, Valerio Priuli und Fanny de Weck unterziehen diese Entscheide (BGE 144 IV 332 und Urteil 6B_235/2018 vom 23. November 2018) einer kritischen Besprechung. Sie stellen fest, die gesetzliche Umsetzung der Ausschaffungsinitiative habe zu einer klaren Verschärfung des Rechts geführt, wie die beiden Entscheide zeigten. Insbesondere BGer 6B_235/2018 werfe aber mehr Fragen auf, als er beantworte, indem er postuliere, die bisherige ausländerrechtliche Rechtsprechung zum FZA sei nicht einschlägig, da es sich bei der neuen Landesverweisung um eine strafrechtliche Massnahme handle. Das stehe in direktem Widerspruch zu dem (in gleicher Besetzung ergangenen) BGE 144 IV 332, der betone, dass die ausländerrechtliche Rechtsprechung insbesondere dort relevant bleibe, wo sie das Verhältnismässigkeitsprinzip konkretisiere.
 
Zu den verletzlichsten Menschen, mit denen sich das Migrationsrecht befasst, gehören minderjährige unbegleitete Flüchtlinge und Asylsuchende. In vielen Fällen wäre der sog. «umgekehrte Familiennachzug» eine Möglichkeit, deren Verletzlichkeit zu reduzieren, also die Möglichkeit der Minderjährigen, ihre Eltern (oder andere erwachsene Familienmitglieder) nachzuziehen. Valentina Poloni befasst sich mit der Möglichkeit des umgekehrten Familiennachzugs durch unbegleitete Minderjährige gemäss EU-Recht, gemäss der Praxis des EGMR und gemäss Schweizer Recht. Da nach dem AsylG nur Ehegatten und minderjährige Kinder in die Flüchtlingseigenschaft mit aufgenommen werden können, nicht aber Eltern, biete das Landesrecht kaum Raum für umgekehrten Familiennachzug im Bereich der humanitären Migration, stellt sie fest.
 
Ganz kann Martin Kayser die Befürchtungen nicht zerstreuen, dass weniger Erfolgschancen im Verwaltungsverfahren hat, wer weniger Geld mitbringt. Weil viele Beschwerden im Migrationsrecht an den fehlenden Mitteln für die Leistung des Kostenvorschusses scheitern, verschiebe sich die Entscheidungskompetenzen von den Spruchkörpern hin zu den Einzelrichterinnen und -richtern, die über Erfolgsaussichten einer Beschwerde und damit über die Pflicht zur Leistung eines Kostenvorschusses entscheiden. Das könne zu einer inkohärenten Praxis führen. Eine denkbare Gegenmassnahme, so Martin Kayser, wäre die Veröffentlichung von Verfügungen, mit denen über die unentgeltliche Rechtspflege entschieden wird.
 
Wir wünschen erhellende Lektüre
                                          

Dr. iur. Stefan Schlegel
Institut für Öffentliches Recht
Universität Bern

Prof. Dr. Alberto Achermann
Zentrum für Migrationsrecht
an der Universität Bern
Redaktor Migrationsrecht

 

In eigener Sache: Am kommenden Ostermontag, 22. April 2019 erscheint kein Jusletter. Das Jusletter-Team wünscht Ihnen schöne Ostertage und freut sich darauf, Sie zur nächsten Ausgabe am 29. April 2019 wieder begrüssen zu dürfen.
 

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