Fairness im Steuerrecht

Schlaglichter auf Anspruch und Wirklichkeit in laufenden Steuerreformvorhaben

  • Autor/Autorin: René Matteotti
  • Beitragsart: Abhandlungen
  • Rechtsgebiete: Nationales Steuerrecht, Internationales Steuerrecht, Besteuerungsprinzipien, Steuerpolitik
  • Reihe: 100 Jahre ESTV
  • Zitiervorschlag: René Matteotti, Fairness im Steuerrecht, ASA 84 (2015/2016)
Fairness im Steuerrecht ist weit mehr als Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Der Begriff umfasst einen ganzen Strauss verfassungsrechtlicher Prinzipien, welche das materielle Steuerrecht, Steuerverfahrens- und Steuerstrafrecht sowie das Übergangsrecht durchdringen. Nach wie vor gilt, dass nur eine faire Steuerrechtsordnung mittel- und langfristig auf Akzeptanz stösst und Rechtssicherheit bieten kann. Die Politik ist daher gut beraten, sich in der Gesetzgebung von den verfassungsrechtlich verankerten Fairnessprinzipien leiten zu lassen und sich nicht wegen Durchsetzung von Partikularinteressen hinter den Schutzbereich des Anwendungsgebots von Art. 190 BV zu verschanzen. Rechtsstaatlich problematisch ist daher der derzeit fehlende Wille, der zutreffenden verfassungsrechtlichen Kritik des Bundesgerichts am bestehenden Teilbesteuerungsverfahren Nachachtung zu verschaffen. Nicht nur in der Hektik der Alltagspolitik, sondern auch in wissenschaftlichen Beiträgen geht mitunter vergessen, dass dirigistischen Massnahmen im Unternehmenssteuerrecht insbesondere auch durch den Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit Grenzen gesetzt wird. Steuerliche Massnahmen zur Förderung von Forschung und Entwicklung stellen daher eine delikate verfassungsrechtliche Gratwanderung dar. Paradoxerweise ist es gerade die OECD, welche die Schweiz in verfassungsrechtlich problematische protektionistische Massnahmen treibt. Bei den tiefgreifenden Rechtsänderungen, die aufgrund des internationalen Drucks unter hohem zeitlichen Druck vorgenommen werden, darf die Rechtssicherheit keinen Schaden leiden. Dem Gesetzgeber kommt daher die anspruchsvolle Aufgabe zu, allfällige gegenläufige Interessen beim Übergang von der alten in die neue Steuerrechtsordnung unter Berücksichtigung des Postulats der Rechtssicherheit fair auszutarieren.

Inhalt

  • I. Zahlreiche Facetten der Fairness im Steuerrecht und aktuelle Herausforderungen
  • 1. Weltweite Akzeptanz des Fairnesspostulats
  • 2. Ein Blick auf Art. 127 BV
  • 3. Bindung an die gesamte Rechtsordnung
  • 4. Fairness der Besteuerung als Legitimation für den Freiheitseingriff durch die Steuererhebung
  • 5. Bunter Strauss von Fairnessfragen in der aktuellen Steuerpolitik
  • II. Fairness im materiellen Steuerrecht: Die Unternehmenssteuerreform III als Anschauungsbeispiel für praktische Steuerpolitik
  • 1. Die Relativität der Besteuerungsprinzipien gemäss Art. 127 Abs. 2 BV
  • 2. Durchbrechung der rechtsgleichen Besteuerung aufgrund fiskaler Interessen beim Teilbesteuerungsverfahren
  • 2.1. Ausgangslage
  • 2.2. Analyse unter dem Blickwinkel einer fairen Besteuerung
  • 3. Durchbrechung der rechtsgleichen Besteuerung zur Förderung von Forschung und Entwicklung – vom international geächteten Ring Fencing zum international diktierten Protektionsimus?
  • 3.1. Ausgangslage
  • 3.2. Analyse unter dem Blickwinkel einer fairen Besteuerung
  • III. Fairness im formellen Steuerrecht
  • 1. Die Volksinitiative «Ja zum Schutz der Privatsphäre»
  • 2. Analyse unter dem Blickwinkel einer fairen Besteuerung: Reflexwirkung von Art. 127 Abs. 1 und Abs. 2 BV auf das formelle Steuerrecht
  • IV. Fairness im Übergangsrecht
  • 1. Vorbemerkung
  • 2. Fairer Übergang in die neue transparente Steuerwelt
  • 3. Fairer Übergang von der privilegierten in die ordentliche Besteuerung
  • V. Schlussfolgerungen